Das kosmologische Standardmodell
ISBN
978-3-662-59626-5

Inhalt

Kapitel 1: Homogene, isotrope Weltmodelle

Die Kosmologie versucht, den Aufbau und die Entwicklung des gesamten Universums durch ein physikalisches Modell zu beschreiben. Das erscheint gewagt: Im Unterschied zu allen anderen Gegenständen der Physik gibt es unser Universum nur ein einziges Mal. Selbst dann, wenn es mehrere Universen gäbe, könnten wir mangels Daten nichts über andere Universen als unseres aussagen. Man behilft sich mit Annahmen. Die erste ist, dass moderne Weltmodelle im Rahmen der allgemeinen Relativitätstheorie konstruiert werden müssen. Innerhalb der allgemeinen Relativitätstheorie kommen zwei Symmetrieannahmen hinzu, die auf den russischen Mathematiker Alexander Friedmann zurückgehen. Die erste dieser Symmetrieannahmen ist, dass uns unser Universum bei geeigneter Mittelung als isotrop erscheint. Die zweite Symmetrieannahme ist, dass jedem anderen Beobachter im Kosmos das Universum als ebenso isotrop erscheint.

Es gehört vielleicht zu den erstaunlichsten Entwicklungen der Physik und Astrophysik im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert, dass auf der Grundlage dieser drei einfachen Annahmen ein kosmologisches Standardmodell entwickelt werden konnte, dessen globale Eigenschaften durch sechs Parameter gut beschrieben werden können und in dessen Rahmen sich so gut wie alle heute bekannten Beobachtungen einfügen lassen. Dieses kosmologische Standardmodell wird im ersten Kapitel konstruiert. Seine globalen Eigenschaften werden untersucht, seine Geometrie und seine Dynamik sowie seine physikalischen Parameter werden beschrieben.

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Kapitel 2: Alter und Ausdehnung der Welt

Wie alt ist die Welt? Wenn wir in einem Friedmann-Universum leben, war ein Urknall unvermeidlich. Dann muss die Welt ein endliches Alter haben. Was wissen wir darüber? In diesem Kapitel gehen wir zunächst der Frage nach, wie das Alter der Erde bestimmt und dasjenige der Milchstraße abgeschätzt werden kann. Für beides wird der radioaktive Zerfall instabiler, langlebiger Isotope verwendet, weshalb man von nuklearer Kosmochronologie spricht. Sie ergibt, dass die Erde etwa 4.6 und die Milchstraße zwischen sechs und zwölf Milliarden Jahre alt sind. Weitere Altersabschätzungen sind anhand alter Sternpopulationen möglich. Aus ihnen ergibt sich, dass das Universum mindestens etwa 13 Milliarden Jahre alt sein sollte.

Diese Untergrenze stellt das kosmologische Modell auf eine unerwartet harte Probe. Messungen der Hubble-Konstante, die im Detail in diesem Kapitel beschrieben werden, ergeben relativ hohe Werte. Bei solchen Werten kann das Universum nur dann älter als seine ältesten Teile sein, wenn es zumindest eine niedrige Massendichte hat, besser aber noch durch eine kosmologische Konstante zu beschleunigter Expansion getrieben wird. Eine solche beschleunigte Expansion wurde im Rahmen der Friedmann-Modelle anhand einer speziellen Klasse von Sternexplosionen tatsächlich nachgewiesen. Wie dies möglich war und welche Schwierigkeiten mit dieser Deutung entsprechender Messergebnisse bestehen, wird am Ende dieses Kapitels beschrieben.

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Kapitel 3: Thermische Entwicklung

Falls ein Friedmann-Modell unser Universum genügend genau beschreibt, muss sein Skalenfaktor vor endlicher Zeit nahe bei Null gelegen haben. Zwar wissen wir, dass nahe am Urknall Quanteneffekte der Gravitation berücksichtigt werden müssen, die wir bisher nicht verstehen und die den Skalenfaktor wahrscheinlich auf einem endlichen Wert halten. Die dafür plausible Temperaturskala wird durch die sehr hohe Planck-Temperatur gesetzt. Unterhalb dieser Schranke sollte es im sehr frühen Universum beinahe beliebig heiß gewesen sein können, auch wenn Quanteneffekte einbezogen werden.

Deswegen müssen wir fragen, ob wir das Verhalten der Strahlung und der Materie im Universum überhaupt mit den Gleichgewichtskonzepten der Thermodynamik beschreiben können und wie sich die Komponenten des kosmischen Materie- und Strahlungsgemisches thermisch verhalten haben können. Davon handelt dieses Kapitel. Dazu werden wir zunächst die grundlegenden Annahmen vorstellen und begründen, unter denen die thermische Entwicklung des Universums behandelt wird. Wir werden dadurch zu wichtigen Schlüssen über den Temperaturverlauf im Universum gelangen. Damit ausgestattet, werden wir uns der Beschreibung der Rekombination von Elektronen und Protonen zu Wasserstoff und der Fusion von Wasserstoff zu Helium und anderen leichten Elementen zuwenden. Dabei werden wir sehen, dass die Physik hinter beiden Prozessen identisch ist und selbst einfache Konzepte der Thermodynamik weitgehende und zuverlässige Aussagen erlauben.

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Kapitel 4: Inflation und Dunkle Energie

Wir haben bisher gesehen, wie das kosmologische Standardmodell aufgrund einfachster Annahmen zu Aussagen von großer Tragweite gelangt. Wir kommen in diesem Kapitel zu fundamentalen Problemen mit diesem Modell, die einfach zu beschreiben und zu verstehen, aber schwierig zu beheben sind. Dies sind vor allem das Horizont- und das Flachheitsproblem, die in diesem Kapitel als Ausgangspunkt dienen. Beide zeigen, dass wir einfache Beobachtungstatsachen innerhalb des bisher formulierten kosmologischen Modells nicht verstehen und dass dies auf fundamentale Verständnislücken hinweist.

Im Rahmen des kosmologischen Standardmodells ist die kosmologische Inflation zwar nicht der einzige, aber der meist beschrittene Weg, um diese Verständnislücken zu schließen. Wir betrachten das Inflationsmodell in diesem Kapitel aus zwei Perspektiven: einmal aus einer phänomenologischen, die zeigt, wie es das Horizont- und das Flachheitsproblem zu lösen vermag, und einmal aus einer theoretischen, die beschreibt, wie es dabei erklären kann, wie überhaupt Strukturen in unser Universum kamen. Das Inflationsmodell erklärt heutige kosmische Strukturen als die Folge von Vakuumfluktuationen eines frühen Quantenfeldes, die durch eine genügend lange Phase exponentieller Ausdehnung auf kosmische Längenskalen vergrößert wurden.

Wenn die Vorstellung eines exponentiell beschleunigt expandierenden Universums fremd erscheint, sollte man sich daran erinnern, dass wir in einem Universum leben, das sich heute ebenfalls wieder beschleunigt ausdehnt.

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Kapitel 5: Strukturen im Universum

Im Zusammenhang mit der kosmischen Inflation wurde im vorigen Kapitel diskutiert, wie Strukturen im sehr frühen Universum angelegt worden sein können: Dem inflationären Modell zufolge entstehen sie durch Vakuumfluktuationen eines skalaren Quantenfeldes, die durch die exponentielle Expansion über den Horizont getrieben werden und dort einfrieren. Wie können aus diesen frühesten Strukturen im Universum diejenigen Strukturen werden, die wir heute beobachten?

In diesem Kapitel wird zunächst besprochen, wie Dichtestörungen linear anwachsen und wie sie mit Geschwindigkeitsstörungen verbunden sind. Dies führt zum sogenannten linearen Wachstumsfaktor, der eine wichtige Verbindung zur beobachtenden Kosmologie herstellt. Über die Zel’dovich-Approximation für die Bewegung kosmischer Materieteilchen gelangen wir dann zu ersten Aussagen über den Verlauf der kosmischen Strukturbildung, die über die lineare Entwicklung hinausgehen. Die nichtlineare Entwicklung wird schließlich anhand von Simulationsergebnissen diskutiert.

Außerdem führen wir mit der Korrelationsfunktion und dem Leistungsspektrum einfache und häufig verwendete statistische Maße für kosmische Strukturen ein. Das Leistungsspektrum kosmischer Dichtestörungen, wie es durch die Inflation erzeugt wird, verändert sich im Lauf der kosmischen Expansion auf charakteristische Weise, die zu einer einfachen und genau bestimmten Form des entwickelten Leistungsspektrums führt. Wir beschreiben, wie Korrelationsfunktionen bzw. das Leistungsspektrum gemessen werden können und diskutieren die Ergebnisse, die aus Messungen dieser Größen bisher gewonnen wurden.

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Kapitel 6: Der kosmische Mikrowellenhintergrund

Kaum eine Beobachtung hat die moderne Kosmologie derart geprägt wie die genaue Vermessung der Temperatur- und Polarisationsschwankungen im kosmischen Mikrowellenhintergrund (CMB). Wir hatten in Kap. 3 besprochen, dass die Restwärmestrahlung des heißen Anfangs unseres Universums durch ihre nahezu perfekte Isotropie eine der Symmetrieannahmen stützt, die dem kosmologischen Standardmodell zugrunde liegen. Die Existenz ausgeprägter Strukturen im heutigen Universum lässt erwarten, dass auch der CMB gewisse Unregelmäßigkeiten zeigen sollte.

Um diese Strukturen geht es in diesem Kapitel. Sie wurden 1992 mit dem Satelliten Cobe entdeckt. Weitere Beobachtungen erlaubten eine beeindruckend genaue Vermessung der Temperatur- und Polarisationsschwankungen im CMB. Diese Schwankungen stellen den Zustand des kosmischen Plasmas zu einer Zeit dar, als sein Zustand physikalisch einfach und vergleichsweise leicht zu beschreiben war. Drei Effekte prägen dem CMB seine Strukturen auf: der primordiale Sachs-Wolfe-Effekt, Schallwellen im kosmischen Plasma und die Silk-Dämpfung aufgrund von Photonendiffusion. Diese Effekte werden in diesem Kapitel zunächst besprochen.

Wie der CMB beobachtet und analysiert werden kann, wie er insbesondere trotz der intensiven Vordergrundemission freigelegt werden kann und was bei diesen Analysen herauskam, wird am Beispiel des Planck-Satelliten besprochen. Schließlich gehen wir noch darauf ein, wie aus der Amplitude der Temperaturschwankungen im CMB auf die Amplitude kosmischer Dichteschwankungen geschlossen werden kann.

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Kapitel 7: Halos und ihre Massenfunktion

Kann das kosmologische Standardmodell erklären, wie viele Galaxien und Galaxienhaufen wir im Universum beobachten? Dies ist eine wichtige, aber schwierige Frage. Wir haben gesehen, wie der lineare Verlauf der kosmischen Strukturbildung beschrieben werden kann und dass zum Verständnis der späten, nichtlinearen Strukturbildung numerische Simulationen bisher unerlässlich sind. Können wir dennoch auf eine konzeptionell einfache Weise verstehen, wie und in welcher Anzahl solche Objekte im Universum entstehen können, die durch ihre eigene Gravitation gebunden und damit hochgradig nichtlinear sind?

Eine Antwort darauf ist im Lauf einiger Jahrzehnte entstanden. Sie beruht auf einfachen Argumenten und wurde durch kosmologische Simulationen quantitativ erstaunlich genau bestätigt. Diese Antwort stellt zunächst mithilfe des sphärischen Kollapsmodells einen Zusammenhang zwischen der linearen Strukturbildung und der Entstehung gravitativ gebundener Objekte her. Dieser Zusammenhang erlaubt es dann, die Statistik solcher Objekte durch die Statistik Gauß’scher Zufallsfelder zu beschreiben. Dies führt zur Vorhersage einer Massenfunktion, also einer Verteilungsfunktion gebundener Objekte in Abhängigkeit von ihrer Masse.

Eine genauere Betrachtung dieser Statistik, die auf die Theorie der Zufallsbewegung zurückgreift, ermöglicht es, die Entwicklungsgeschichte der Population gebundener Objekte zu beschreiben. In diesem Kapitel werden die wichtigsten Bestandteile dieser Theorie und ihre Erfolge besprochen, es wird aber auch erwähnt, an welche Grenzen diese Beschreibung stößt.

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Kapitel 8: Gravitationslinsen

Eine wichtige Konsequenz der allgemeinen Relativitätstheorie ist es, dass sich durch Schwankungen in der räumlichen Materie- und Energiedichte die Raumzeit krümmt und damit auch Lichtstrahlen auf gekrümmte Bahnen zwingt. Da das Licht auf diese Weise so abgelenkt wird, als würde es eine optische Linse durchlaufen, spricht man vom Gravitationslinseneffekt. Dieser Effekt ist aus mehreren Gründen zu einem für die Kosmologie unverzichtbaren Werkzeug geworden. Zum einen führt er durch seinen Astigmatismus zu Bildverzerrungen, die erstaunlich zuverlässig gemessen werden können und damit die Anwesenheit von Schwankungen in der Materie- oder Energiedichte verraten. Zum anderen wird er allein durch die Krümmung der Raumzeit bestimmt, aber nicht dadurch, durch welche Art von Materie oder Energie diese Raumkrümmung verursacht wird. Insbesondere kommt seine physikalische Beschreibung in der Regel ohne Gleichgewichts- und Symmetrieannahmen aus. Zum Dritten ist er physikalisch in bester Näherung recht einfach zu beschreiben.

Der Gravitationslinseneffekt ist im allgemeinen sehr schwach ist. Dennoch haben seine günstigen Eigenschaften dazu geführt, dass in den letzten Jahrzehnten enorme Anstrengungen unternommen wurden, ihn zu messen und diese Messungen zu interpretieren. Für die Kosmologie haben sich aus diesen Messungen einige wichtige Schlussfolgerungen ergeben. Auf welcher physikalischen Grundlage sie zustande kommen und was sie bedeuten, wird in diesem Kapitel beschrieben.

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Kapitel 9: Galaxienhaufen, Galaxien und Gas

Wir haben in Kap. 7 gesehen, dass die Anzahldichte massereicher Objekte im Universum zutreffend vorhergesagt werden kann. Ein wesentliches Ergebnis dieser Überlegungen war, dass deren Massenfunktion oberhalb einer charakteristischen Massenskala exponentiell abfallen muss und dass sich diese Skala mit fortschreitender Zeit zu immer größeren Werten verschiebt. Deswegen sollte die Population der massereichsten kosmischen Objekte eine schnelle Entwicklung durchlaufen.

Dadurch werden die Galaxienhaufen als massereichste kosmische Objekte zu einer Art kosmologischer Leitfossilien. Durch ihre große Masse sind sie im exponentiell abfallenden Teil der Massenfunktion angesiedelt, sodass ihre Population auf exponentiell empfindliche Weise von kosmologischen Parametern und von der Dynamik der kosmischen Strukturbildung abhängt. Wenn es gelingt, die Population der Galaxienhaufen so genau wie möglich zu erfassen, können aus der Populationsstatistik wichtige kosmologische Schlussfolgerungen gezogen werden. Mit anderen Worten: Wenn Galaxienhaufen nicht nur verlässlich entdeckt und genau gezählt, sondern auch hinsichtlich ihrer physikalischen Eigenschaften zuverlässig charakterisiert werden können, sollten sie eine kosmologisch entscheidend wichtige Objektklasse bilden.

In diesem Kapitel besprechen wir zunächst die beobachtbaren Eigenschaften der Galaxienhaufen und deren Zusammenhang mit der Kosmologie. Am Ende des Kapitels kommen wir auf die physikalischen Eigenschaften der Galaxien selbst zurück und fassen kurz zusammen, was durch Beobachtungen interstellarer Gaswolken aus kosmologischer Sicht gewonnen werden kann.

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